Das war schon ein besonderer Abend, der 20.April 2023 im Café der Villa Mittelhof. Was als Autorenlesung mit der Historikerin Martina Voigt angekündigt war, entpuppte sich zu einem mitreißenden Vortrag über das Leben und Wirken einer großen Frauengestalt des 20. Jahrhunderts - der Quäkerin Elisabeth Abegg, Mitbegründerin des Mittelhof 1947 und eine der auch international bekanntesten deutschen Helferinnen verfolgter Jüdinnen und Juden. Bis zu achtzig Menschen sind zwischen 1942 und 1945 durch ihr mutiges Eingreifen vor der Deportation in die Vernichtungslager bewahrt worden. Elisabeth Abegg hatte aufgrund ihres Mutes, ihrer Entschlossenheit und ihrer zahlreichen Verbindungen zu Gegnerinnen und Gegnern des NS-Regimes eine zentrale und motivierende Position innerhalb des hieraus entstandenen Netzwerkes inne. Nach der Zwangspensionierung der promovierten Studienrätin an dem Schöneberger Rückert-Gymnasium 1941 aufgrund einer Denunziation aus Schülerinnen-und Elternkreisen („Demnach hatte sie im Unterricht die Schrecken von Kriegen erörtert und versucht, Feindbildern über Engländer und Franzosen entgegenzutreten“.) wurde ihre Wohnung am Tempelhofer Damm und die ihrer vertrauten Mitstreiterinnen aus der Luisenschule, unbemerkt vom engmaschigen Überwachungssystem der Gestapo, zum Zufluchtsort. Bis auf 2 Geflüchtete konnten alle die Zeit bis zur Befreiung 1945 überleben.
Elisabeth Abegg und die Menschen des von ihr initiierten Hilfsnetzwerkes haben uns gezeigt, das selbst in einer Diktatur Handlungsspielräume fortbestehen, die mit Mut und Geschick, offenem Herzen und vertrauenswürdigen Menschen positiv ausgefüllt werden können. Doch es dauerte noch lange in der bundesrepublikanischen Gesellschaft der Nachkriegszeit bis es wahrgenommen und gewürdigt wurde was diese „Stillen Helden“ auf sich genommen und erreicht hatten. Als Zeitungen Ende der 50er Jahre über die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an Elisabeth Abegg berichteten, wurde sie anschließend wegen erfolgter Morddrohungen unter Polizeischutz gestellt. Umso erfreulicher ist es, dass jetzt 80 Jahre nach dem dunkelsten Teil unserer neueren Geschichte Martina Voigt nach gründlicher jahrelanger Recherche eine höchst lesenswerte Studie im Lukas-Verlag veröffentlicht hat, die durch die lebendige und faktenreiche Schilderung des Lebensweges von Elisabeth Abegg zeigt, welche Prägungen für den Erfolg ihrer Rettungsaktionen hilfreich waren, ohne daraus eine generelle Kategorisierung von Helferpersönlichkeiten aufzuzeigen. Die Autorin verstand es an diesem Abend die ca. 40 Zuhörer:innen in ihren Bann zu ziehen und uns einen unterbelichteten Teil unserer Vergangenheit nahezubringen – Menschen, die trotz aller Repressalien und Gefahren nicht weggesehen haben und den Mut hatten, einen Rest an Humanität zu erhalten.
Martina Voigt ist freie Mitarbeiterin der Gedenkstätte Deutscher Widerstand. Ihre Studie „Einig gegen die Trägheit der Herzen – Das Hilfsnetzwerk um Elisabeth Abegg zur Rettuung jüdischer Verfolgter im Nationalsozialismus“ ist 2022 im LUKAS-Verlag erschienen.
„Aus der Geschichte lernen heißt über gesichertes Wissen einen klaren Blick auf die Vergangenheit zu gewinnen, die Gegenwart zu verstehen und die Zukunft zu meistern“ (Wolfgang Benz)