Heinrichs Geschichte von den Anfängen in Berlin.
Im Jahre 1951 waren die Bedingungen nach den Kriegsjahren in der „Sowjetischen Besatzungszone“ wie es damals hieß, katastrophal für selbstständige Handwerker und Jugendliche, die sich nicht dem kommunistischen Denken unterwerfen wollten. Ich wollte wie mein Vater Schlosser werden und begann in seinem Betrieb eine Lehre. Es gab zwar Arbeit genug, aber die Bezahlung reihte nicht den Lebensunterhalt zu bestreiten. Um unsere 8-köpfige Familie zu ernähren baute mein Vater aus Badeöfen vom Schrott die ummantelnde Kupferhülle aus, schnitt sie in Streifen, die wir uns, meine 4 größeren Geschwister und ich, um den Leib wickelten um mit der S-Bahn nach Westberlin zu fahren. Immer darauf bedacht nicht zusammen in einem Wagen zu sitzen, um bei Kontrollen nicht gemeinsam erwischt zu werden. Denn darauf stand Zuchthaus wegen „Verbringung von Wertstoffen“. Wir trugen das Material zu Schrotthändlern, wo wir D-Mark bekamen. Bei einem Kurs von 1 zu 4,-5,6 waren das Schätze, die wir nach Hause trugen. Die Nerven lagen blank und die Zuhausegebliebenen waren froh und gesund am Abend in die Arme zu schließen. Der Satz meines Vaters „Junge geh‘ rüber, du kannst hier nichts werden!“ beschäftigte mich sehr. Als 17jähriger setzte ich den Endschluss in die Tat um, und packte an einem warmen Herbsttag des Jahres 1951 eine alte Aktenmappe mit Zeugnissen, Essen und Trinken und als Alibi eine Badehose ein. Für den Fall einer Kontrolle könnte ich das Strandbad Wannsee als Ziel angeben. Damals gab es noch die Möglichkeit mit der S-Bahn ohne Passagierschein in den West-Sektor zu kommen. Von Straussberg, wo unser Wohnsitz war, kam ich ohne Kontrollen nach Westberlin. Die hellen Leuchtreklamen, das bunte Treiben auf den Straßen, die damals noch wenigen modern wirkenden Autos, die anderen Gerüche erstaunten und faszinierten mich. Das Grau der SBZ ließ ich hinter mir. Das Herz klopfte mir bis zum Hals, ich war allein auf mich gestellt, ein Unbehagen kam in mir hoch, was würde werden? Ich stieg in Zehlendorf aus der S-Bahn, aber wohin?? Eine Adresse hatte ich nicht, zu fragen traute ich mich auch nicht, aus Angst an den Falschen zu geraten und wieder in den Osten verschleppt zu werden. Es machten damals die tollsten Gerüchte im Osten die Runde, der Arm der Staatssicherheit reichte weit. Republikflucht war ein schweres Vergehen!
Ermüdet irrte ich durch die Straßen. An einer herrschaftlichen Villa, vor der amerikanische Militärfahrzeuge standen fasste ich mir ein Herz und betrat das Grundstück. Ein Mann kam auf mich zu und fragte nach meinem Begehr. Es war der Hausmeister der Quäkergemeinde in Berlin. Ob ich in dem großen Haus vielleicht Unterkunft für die Nächte bekäme und etwas zu essen bekommen könnte, fragte ich. Freundlich nahm er mich ins Haus nachdem ich ihm meine Fluchtgeschichte erzählt hatte. Für Unterkunft und Verpflegung war ich bereit jede Arbeit anzunehmen.
Er bot mir an im Kokskeller zu arbeiten. Asche hinaustragen, Koks schaufeln, Laub zu harken und den Hof zu fegen. Ich war glücklich auf dem Boden ein Feldbett zum Schlafen zu bekommen. Als 1. Mahlzeit bekam ich, für mich ganz ungewohnt, Weißbrot mit exotischem Aufstrich: Erdnussbutter mit Orangenmarmelade! Es schmeckte köstlich.
Ich durfte das Altpapier, welches reichlich anfiel, beim Altpapierhändler verkaufen! So hatte ich ein paar Mark, von denen ich an meine zurückgebliebene Familie bei der dich mich aus Sicherheitsgründen nicht melden durfte, Telefon hatten wir auch noch nicht; Päckchen mit Köstlichkeiten aus dem Westen schicken, (Kaffee, Schokolade, für meinen Vater amerikanische Zigaretten, die ich bekam) ich selbst rauchte nicht, denn mein Vater sagte mir einmal:“ Junge wenn du reich werden willst, dann lass das Rauchen und Trinken!“. Diesen Satz habe ich mein Leben lang befolgt! Und ich bin davon überzeugt, dass das und mein Fleiß und gute Umstände zu meinem Wohlstand beigetragen haben.
Ich kaufte mir von meinen ersten verdienten „Westmark“ ein kariertes Hemd (ein Holzfällerhemd) damals der neueste Schrei. Ich fühlte mich westlich und schick!
Der Bewohner auf dem Dachboden blieb nicht lange unbemerkt, ein Sowjetflüchtling konnte nicht länger unter amerikanischer Obhut geduldet werden. Im Laufe meines Aufenthaltes in der Villa war mir der Hausmeister als väterlicher Freund sehr zugetan sowie die Waschfrau. Ich weinte wohl und war untröstlich ob meiner „Verstoßung“ aus dem Paradies!
Da bot mir die Waschfrau an, mit Ihr zu kommen, da sie sich fürchtete in Ihrem Bahnwärter-Häuschen an der Wannseebahn ohne Mann, der im Krieg geblieben war. Sie wohnte mit Ihren habwüchsigen Töchtern dort. Sie war froh, mich als „männlichen Schutz“ zu haben und ich hatte eine Unterkunft. Aus Dankbarkeit machte ich alle Arbeiten die rund um’s Haus anfielen. Kleine Reparaturen, Holz sägen und hacken, umgraben, den Zaun richten usw., alles was für eine Frau zu schwer war, zumal sie nach ihrer schweren Arbeit abends müde nach Hause kam.
Mir war es nur sehr unangenehm mit den pubertierenden Töchtern im Haus zu sein, und auf sehr beengten Raum zu schlafen.
Es kam die Zeit und ich musste als Flüchtling registrieren lassen. Ich verließ schweren Herzens das Bahnwärterhäuschen und die Familie, die mir solange Unterkunft gewährt hatte.
Ich durchlief einige Instanzen, musste unangenehme Fragen wegen meiner verspäteten Meldung beantworten und wurde in das Lager Kladow, für Jugendliche, eingewiesen. Ich habe dort in der Schlosserei gearbeitet. Mein Vater bekam zunehmend mit seiner Schlosserei Ärger. Er arbeitete für die Russen und konnte wegen schlechten Materials den Anforderungen nicht genügen! Er musste ebenfalls fliehen, um nicht ins Gefängnis zu kommen.
Anfangs arbeitete mein Vater ebenfalls im Haus der Quäker und bei der Waschfrau.
In dem Kladower Lager wurde ein Schlossermeister der Jugendliche ausbilden konnte, gesucht. Mein Vater hatte diese Fähigkeiten und ich konnte mich dafür einsetzen, dass er dort arbeiten konnte. Ich erfuhr dass meine Mutter, die nach Thüringen, in das Elternhaus meines Vaters, mit meinen Geschwistern übersiedeln musste, sehr krank wurde. Sie konnte nicht zum Arzt gehen, da mein Vater geflüchtet war.
Nach 4-6 Wochen mussten alle Jugendlichen das Lager verlassen und wurden nach Westdeutschland ausgeflogen. Auch ich sollte dazu gehören. Nun setzte sich mein Vater für mich ein und ich durfte noch weiter in der Neu Kladower Allee bleiben, zumal meine Mutter mit meinen 3 kleinen Geschwistern auch dort wohnen durften. Meine beiden größeren Geschwister machten noch das Abitur in der DDR und folgten dann uns nach.
Nach Jahren fertigten mein Vater und ich einen siebenarmigen Leuchter aus Schmiedeeisen, den er den Quäkern, in der Königsallee 42, aus Dankbarkeit für den guten Start, schenkte. Leider waren weder der Hausmeister noch die Waschfrau noch dort, so dass wir keinen Kontakt mehr herstellen konnten. Keiner kannte ihren Aufenthalt. Auch das Bahnwärterhäuschen war abgerissen.
Ich arbeite in einer Berliner Metallfirma und fertige dort Formteile aus Messing und Kupfer. Mit 21 Jahren machte ich mich mit Unterstützung meines Chefs und meiner Familie, die inzwischen in Gatow ein kleines Häuschen besaß, selbstständig. Ich arbeitete Anfangs im ehemaligen Hühnerstall und stellte kunstgewerbliche Metallwaren her.
Vor einigen Monaten las ich in der Zeitung einen Bericht über eine Veranstaltung in dem Haus Mittelhof in Zehlendorf und ich erinnerte mich an meine Anfänge in Berlin. Am 22.Februar.2010 besuchte ich das Haus und wurde überall herumgeführt. Zu meiner großen Freude entdeckte ich den Leuchter meines Vaters in einem großen Saal am Fenster. Leider ist die Art solche Tüllen zu bauen heute nicht mehr üblich. Ich kann die rosettenartigen Tüllen noch bauen, aber wem könnte ich es noch lehren? Einen zweiten Leuchter dieser Art besitze ich noch.
Nun bin ich Rentner und blicke in Dankbarkeit auf mein Leben, was mir viel Annehmlichkeit beschert hat, welches in dem Haus in der Königsallee 42 seinen Anfang nahm.